Im Zeitraum vom 28. August bis zum 3. Dezember 2003 erschien im Regionalteil Zwiesel ein insgesamt 12-teiliger Artikel von der Lindberger Autorin und Historikerin Ingeborg Seyfert, in welchem Sie ein Stück der Geschichte des Angers in Zwiesel rekonstruiert. Zu schade - fand ich - diesen ausführlichen Beitrag zur Heimat- und Familienkunde nur im Regionalteil der Zeitung "verstauben" zu lassen. Zudem wollte ich den Artikel auch den Lesern, die den Zwieseler Lokalteil nicht einsehen können, zur Verfügung stellen. Ich ersuchte daher um die Rechte, den Originalartikel hier und in voller Länge wiedergeben zu dürfen. Frau Ingeborg Seyfert erteilte mir schließlich zum einen die schriftliche und exklusive Erlaubnis, ihre "Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner" auch auf dieser Webseite wiederzugeben und stellte mir zum anderen auch die meisten der verwendeten Abbildungen zur Verfügung. Dafür möchte ich mich auch an dieser Stelle nochmals herzlich bedanken.
Bitte beachten Sie daher, dass das Copyright bezüglich Text und Bilder des Artikels bei Frau Ingeborg Seyfert liegt. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Artikels, auch auszugsweise, sowie der wiedergegebenen Bilder in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung der Autorin nicht gestattet! Bitte sehen Sie in diesem Zusammenhang auch von einer Einbindung der Bilder in externe Seiten ab.
Zu guter Letzt wünsche ich allen Lesern viel Spaß und natürlich freue ich mich - und gewiß auch Frau Seyfert - über Ihr Feedback, Ihre Meinung sowie eigenen Beiträge und Ergänzungen zu diesem Artikel.
Christian Benz,
Regen im Januar 2004
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil II
Am 29. September 1733 starb der Aschenbrenner Andrä Schink in Oberzwieselau und am 9. Oktober des Jahres wurde sein beträchtliches Vermögen verteilt. Sein Alter wurde nicht notiert. Andrä Schink war in zweiter Ehe verheiratet mit einer Walburga und hatte zwei Söhne aus erster Ehe. Martin war ein lediger Schmiedknecht und Christoph ein verheirateter Glasmacher in Zwiesel. Christoph ist der Stammvater von fünf Generationen Schink, die bis zum Jahr 1941, gut 200 Jahre lang, Glas machten und Glas veredelten.
Dass Andrä Schink ein Vermögen von gut 1000 Gulden besaß, ist bemerkenswert in einer Zeit, in der ein Bauernanwesen in Lindberg 700 bis 1000 Gulden wert war. Rund 800 Gulden hatte er, wie die Gotteshäuser es taten, gegen Zinsen ausgeliehen an sieben verschiedene Personen im Zwieseler Winkel, so an den bürgerlichen Wirt und Glasfuhrmann Georg Müller in Zwiesel am Anger, aber auch an Hans Sendl, einen Federntrager aus Neuern in Böhmen. Wie damals nach Möglichkeit alle Familienväter hatte Andrä Schink eine Nebenerwerbs-Landwirtschaft betrieben, wie wir heute sagen würden. Vier Kühe standen in seinem Stall und ein Kalb, die mit 40 Gulden bewertet wurden. Vorhanden war etwas "Futterey" an Heu und Stroh, dann 12 Ellen ausgedroschenes Korn, dann 20 Köpfl Schmalz und zwei Stückl rupfene Leinwand. Ein kupferner und ein eiserner Kessel wurden mit zusammen vier Gulden angesetzt und wurden von den Söhnen genommen. Nach Abzug Gerichtskosten in Höhe von 17 Gulden und von 10 Gulden für 20 Heilige Messen für den Verstorbenen wurde das Erbe in drei gleiche Teile geteilt. Von Martin, dem Schmied, findet man danach nichts mehr in den Matrikeln. Mit rund 300 Gulden war er ein gemachter Mann und hat vielleicht, wer weiß wo, in eine Schmiede eingeheiratet. Glasmacher Christoph war mit einer Theresia verheiratet, die 1748 starb. Das Ehepaar hatte keine Kinder. Christoph heiratete in zweiter Ehe eine Maria Anna. Zwischen 1749 und 1754 kamen vier Töchter zur Welt, mal in Zwiesel, mal in Oberzwieselau, die alle nur kurz lebten. 1757 kam Sohn Anton zur Welt, der die schwierige Kleinkinderzeit überlebte und ein angesehener Glasschneidemeister wurde. Christoph Schink hatte in Zwiesel ein Haus, über das wir einige Nachrichten haben. Denn in diesem Haus wurde der "Erste Waldforstmeister Carl von Heppe" einquartiert. Pflegsverweser Johann Andrä Unger ließ dazu in der Amts-Rechnung des Jahres 1753 vermerken: "...dass dem neu aufgestellten und allhier aufzuhalten angeschafften Forstinspektor eine Wohnung oder Unterkunft verschafft werden solle. Also hat man bei Christoph Schink, Bürger allhier, ausgesehen und gestiftet (gemietet)...". Schink bekam für das zweite Halbjahr 1753 als Miete 16 Gulden aus der Amtskasse. Im Jahr 1754 ist die Eintragung ausführlicher. Schink wird als "bürgerlicher Glasmacher" bezeichnet und bekam für neun Monate 24 Gulden Miete, weil von Heppe "sich von hier gar hinweg und nach Hengersberg begeben". Ein weiterer Eintrag betrifft die Zahlung von vier Gulden 15 Kreuzer an Schink, "um dass er in des von Heppe Wohnzimmer und Kammer 15 Stück Glastafeln hergeben und eingeschnitten". Pflegsverweser Unger machte keinen Hehl daraus, dass er die Anwesenheit des Herrn von Heppe für überflüssig hielt, als Einmischung in seine Kompetenzen empfand. Die Panduren hatten ihn schwer drangsaliert. Seither war er krank und schwierig. Und er schikanierte von Heppe, wie aus einem ausführlichen Bericht von diesem über seine Wohnung bei Schink zu erfahren ist. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil III
Forstinspektor Truchsess Carl von Heppe schrieb mit Datum 8. Februar 1754 ein Rechtfertigungsschreiben an die Hofkammer in München. Pflegsverweser Unger hatte sich in vielen Punkten über von Heppe beschwert und auch behauptet, "habe er mir so gleich bei meiner Anherkunft wegen der noch ermangelden Amtswohnung im Markt allhier ein anständiges Logement und Bett und Letzteres noch dazu von dem seinigen" verschafft.
Herr von Heppe berichtet sehr anschaulich. Er schreibt: "Hat es sich gerne drei Wochen verzogen, ehe er es mit meiner Einlogierung zum Stande gebracht. Ja er hat nicht einmal die in meiner jetzigen Wohnstube und Kammer sehr zerbrochenen und zum Teil mit Holz und Papier ausgeflickten acht niedrigen Fenster mit ganzen Tafeln verbessern lassen wollen. Da doch die Tafel nur 17 Kreuzer kostet und die 15 Stück in allem nicht mehr als vier Gulden 15 Kreuzer betragen." Johann Unger hat dann Christoph Schink in den Streit mit Heppe hineingezogen und Schink hat wochenlang seinem Geld hinterher laufen müssen. Herr von Heppe schreibt dann weiter: "Das anständige Logement nächst dem betreffend, so bestehet die ganze Anständigkeit darin, dass ich wenigstens helle Fenster und einem artigen Prospekt gegen die Birkenberg und die Hochwaldung habe. Hingegen, da der Beamte keinen besseren Ofen in meine Wohnung hat wollen setzen lassen, so möchte im Zimmer, zumal bei Änderung des Wetters vor Rauch aus dem alten bösen Ofen manches Mal fast ersticken und die Augen aus dem Kopfe verloren. Dazu verderben mir von dem dicken harzigen Rauch erbärmlich meine Kleider, weiße Wäsche, Schriften, Bücher, sehr saubere Jagd-Kupferstiche und andere Sachen mehr. Wärme hält mein Zimmer auch nicht, weil es nur eine schlechte bretterne Bühne oder Diele hat. Es darf also das Feuer im Ofen nur ein wenig abgeben, so ist auch das Zimmer gleich wieder kalt. Das Bett aber belangend, so hat er von dem seinigen zwar hergeliehen, jedoch ein solches, dass meine Stallmeister auf meinem Gerichts-Gut und Rittersitz Thalborn in Wahrheit ein so schlechtes nicht unter sich haben. Und dennoch hat er sich überall damit gross gemacht. Sobald ich es aber wieder erfahren, habe ich ihm sein Bett ohne Verzug wieder heimgeschickt, mir von der Waldgehers Brunnbauer zu Brandten seinem Weibe ein anderes Bett so lange geben lassen, bis ich eines selbst zu kaufen bekomme. Aus Mangel der Stallung, auch eines Hafer-, Heu- und Streubodens kann ich die höchst benötigten zwei Dienstpferde nicht halten, sondern muß mit größter Beschwerlichkeit bald hier, bald da von Bürgern und Bauern Pferde zu meinen Waldritten mit vielen Unkosten und Bitten entlehnen und darf wohl froh sein, wenn mir welche, sie mögen nun gut oder schlecht sein, überkommen. Ein Pferdestall aber wäre in den Hof meiner Wohnung mit 15, ja mit 12 Gulden leicht herzustellen gewesen, wenn der Pflegsverweser gewollt. Keine Holzlege für mich ist auch vorhanden. Darum men Brennholz in meiner Kammer umher stehen muß, damit es nicht andere Wege gehen lerne. Unter meinem Wohnzimmer wohnen arme Schneidersleute zur Miete mit vielen Kindern, vor denen den ganzen Tag bis in die Nacht hinein weder Rast noch Ruhe ist und ich den üblen Geruch von ihren schlechten Speisen allemal wohl empfinde. Nicht die mindeste Einsicht ist bei der Stube und Kammer und die Verwahrung oder der Verschluß auch schlecht genug. Ohne Mühe kann zu mir einsteigen, wer Lust und Belieben hat. Denn das Häuslein ist nur einmal übersetzt und nach hiesigem Landesbrauch niedrig, das Winterbrennholz daran hinauf bis eine halbe Elle hoch unter meinem Fenster aufgeschlichtet. Es liegt auch ganz oben im Markt, gerade am Felde an und an einem mit Gesträuch stark verwachsenen Hohlweg, dass sich also zum Beraube und Totschlag in meinem Bette alle Nacht reif genug bin und wegen des vielen Brennholzes in und an dem Häuslein, so Feuer im Schlafe unversehens auskäme, mit dem ganzen Plunder ohne alle Gnade müßte verbrennen. Dieweil da alles gleich in vollen Flammen stünde, in dem das Häuslein von Grund auf bis unter das Dach aus lauter Holz erbauet ist. Und das ist also die anständige Wohnung, die mir der hiesige Gerichtsbeamte verschafft hat, in welcher ich mich aber so lange gedulden muß, bis dass Euer Durchlaucht mit einer ordentlichen Amts-Wohnung auch mich zu versorgen gnädigst geruhen werden." Die odentliche Amtswohnung für den "Ersten Waldforstmeister im Waldrevier" fand man im Herbst 1754 in Hengersberg. Wir aber haben die Einmaligkeit einer anschaulichen Schilderung von einem kleinen Ausschnitt des Alltagslebens im Markt Zwiesel vor genau 250 Jahren aus der Feder des erfolgreichen Jagdschriftsteller Carl von Heppe. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil IV
Waldforstmeister Carl von Heppe beschrieb 1753 seine Wohn-Gegebenheit genau und anschaulich. Wo aber stand dieses Haus?
Der "mit Gesträuch stark bewachsene Hohlweg" ist heute die Oberzwieselauer Straße und in dem Neubau an jener Stelle am Eck befinden sich heute das Arbeitsamt und der Lidl-Markt. Es ist schwer vorstellbar, dass vor 250 Jahren bei der Ampel am "Pongratz-Eck" die bewohnte Welt, das bebaute Zwiesel, zu Ende waren, dass, so weit das Auge reichte, nur Landschaft zu sehen war. Blickt man heute nach Norden, trifft das Auge auf die Backsteinmauern der imposanten Pfarrkirche St. Nikolaus. Herr von Heppe sah bis zu den bewaldeten Grenzbergen am Horizont.
Heppe wohnte im oberen Stock. Das Haus bestand demnach aus dem Erdgeschoss und dem ersten Stock, war, wie man seinerzeit sagte, "zweigädig", wie dies auch die Herdstättenbeschreibung von 1717 ausweist. Und er schrieb, das Haus stünde oben "am" Markt. Sein Erbauer, Gerichtsprokurator und Marktschreiber Michael Pruckmayer, ließ bei der Übergabe an seine Tochter in das Briefprotokoll sein Haus so beschreiben: "...die Anno 1698 von Grund auf neu erbaute frei eigentümliche Bürgersbehausung, so obern Orts des Marktes nächst des Georgen Fischers... entlegen.". Georg Fischer war Gastwirt und der damalige Besitzer des Hauses, das 1774 von Wolfgang und Monika Luckner als Alterssitz erworben, dann 1781 von Luckner ganz aus Stein neu erbaut wurde, 1797 in den Besitz des Baders und Marktkammerers Joseph Pfannestiel kam, zuletzt das "Gasthaus zur Luitpoldlinde" war und dessen Fläche heute Parkplatz ist, zwischen dem ehemaligen Lebzelter Röck und dem Lidl-Markt. In den ersten Jahrhunderten hatte es den Namen "Das Haus am Rürl". Das heißt, der Markt Zwiesel hatte zwar keine Stadtmauer, weil das geländemäßig nicht möglich war, aber oben und unten (beim Sägewerk) konnte der Zugang gesichert werden, so dass man vor unliebsamen Überraschungen eine begrenzte Sicherheit haben konnte. In früheren Jahrhunderten war der Unterschied zwischen Markt und Stadt keineswegs so ausgeprägt wie heute. Wilhelm Volkert schreibt dazu unter dem Stichwort "Stadt": "Die als Markt bezeichneten Orte zeigen häufig stadtähnliche Strukturen, besonders im wirtschaftlichen Bereich." Und: "Die Rechtspersönlichkeit der Stadt trat ... deutlich in Erscheinung durch das Stadtsiegel." Unter dem Stichwort "Markt" ist nur ausführlich von "Handelsveranstaltungen" die Rede. Zurück zum Haus von Pruckmayer, der außerhalb der einstigen Sperre gebaut hatte, ein Haus mit Keller, gewölbe und Boden, mit Stall, Stadl und Backofen. Pruckmayer wählte als "Austragsstübl" für sich die oberen, hervorderen zwei Zimmer, die später Herr von Heppe bewohnte, und hatte große Pläne. Denn er ließ schreiben, dass er jederzeit das Pferd zum Ausreiten nehmen könne. Doch vier Tage nach der Übergabe im Wert von 870 Gulden am 24. Juni 1725 an "Tochter Maria Theresia und deren nunmehrigen Ehemann Christoph Schink, Glasergeselle, in der Oberzwieselau gebürtig", war sein Leben zu Ende. Gerichtsprokurator (etwa dem heutigen Rechtsanwalt vergleichbar) und Marktschreiber Pruckmayer hatten auch zwei Söhne, der eine Johann Jakob, von dem es später heißt, er sei "Landesabwesend" und Anton, der Bäcker wurde in Zwiesel. Eine jüngere Tochter Katharina heiratete später einen Mann namens Fischer. Deren Brautkleid zu zahlen wurde Schink bei der Übergabe verpflichtet. 1744 beerben Christoph Schink und sein Bruder Martin, der Schmiedegeselle, die Eva Schink, "gewesene Köchin aus Oberzwieselau". Zuerst hatte sie der Preißlerin gedient, dann der Glashüttenherrin Hilz. Sie war eine Schwester von Andrä Schink, dem Vater der Brüder, und hinterließ ihren Neffen 526 Gulden. Das Ehepaar Schink hatte keine Kinder. Theresia starb nach 23 Jahren Ehe 1748. Christoph Schink, nun 53 Jahre alt, heiratete wenig später ein zweites Mal eine Anna Maria, deren Mädchennamen wir nicht kennen. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil V
Christoph Schink und seine Frau Anna Maria hatten fünf Kinder. Drei kleine Mädchen starben früh. Nur die Älteste, Maria, und das jüngste Kind, Sohn Anton, wurden erwachsen. Nach 14 Jahren Ehe starb Christoph 1763 mit 67 Jahren. Anton war gerade sechs Jahre alt.
Witwe Schink brachte sich und die Kinder wohl damit durch, dass sie den Glasschneider Wenzelslaus Hackl ins Haus nahm. 1772, Tochter Maria war 23 Jahre, übergab Mutter Schink das Haus im Wert von 1000 Gulden. Die 130 Gulden Wertsteigerung gegenüber dem Jahre 1725 sind ein Zeichen für die schleichende Geldentwertung, seit das Geld den Tauschhandel abgelöst hat. Übergeben wurde an die Tochter und deren zukünftigen Ehemann Wenzl Hackl. Anton war erst 15 Jahre. So nimmt dessen Ausbildung zum Glasschneider durch Schwager Hackl sowie seine zukünftige Versorgung breiten Raum ein.
Anton hatte noch drei Jahre zu lernen. Wenzl Hackl musste ihn ausbilden und ihm Kost und Logis geben, alles "gratis". Im letzten halben Lehrjahr hatter er Anton den üblichen Wochenlohn von 15 Kreuzer zu bezahlen. Außerdem war Anton lebenslang der "Unterschlupf" im Haus zu gewähren, wenn er sich, aus welchen Gründen immer, nicht mehr selbst fort bringen könnte. Für sich selbst ließ Witwe Anna Maria den üblichen "Austrag" schreiben. Wenzl Hackl stammte nicht aus dem Raum Zwiesel. Sein Vorname deutet auf Böhmen. Vermutlich kam er aus Nordböhmen, denn im Heiratskontrakt wird der Anna Maria, geborene Schink, sollte sie Witwe werden, auferlegt, für ihren Mann 40 Gulden für die Bergkirche und 40 Gulden für hl. Messen zu zahlen, "massen seine Befreundeten (Verwandten) als zu weit entlegen sind". Die Glashütten und Glasveredeler gleich jenseits der Grenze von Wassersuppen über Seewiesen bis Prachatitz waren damit keinesfalls gemeint. Da gab es ein lebhaftes Hin und Her über die (Währungs-)Grenze. Nach Zwiesel war Wenzelslaus Hackl möglicherweise "auf der Walz" gekommen, während seiner Wanderjahre. Dann, im Jahr 1791, quittierte Anton Schink am 26. August seinem Schwager Hackl den Empfang des elterlichen Erbgutes plus Zinsen und zwei Gulden 45 Kreuzer für den halbjährigen Wochenlohn, insgesamt gut 120 Gulden. Um diese Zeit heiratet Anton auch Theresia Tauscheck, eine Tochter des seit etwa 1750 in Zwiesel ansässigen "bürgerlichen Glasschneiders" Andrä Tauscheck, der am Anger wohnte. Wenzl Hackl übergab im Jahr 1804 an Sohn Adam. Jetzt war der Besitz 1950 Gulden wert, fast das Doppelte des Jahres 1772. Möglicherweise war seine Werkstatteinrichtung die Ursache. Wenzl Hackl starb am 22. August 1804 im Alter von 70 Jahren. 1808 wurde das Anwesen beschrieben: "Ein gezimmertes Wohnhaus mit gemauerter Stallung und hölzernem Stadl, ein kleines, mit einer Fahrt versehenes Gartl", in welchem Herr von Heppe gerne einen Stall für seine zwei Pferde errichtet hätte. Und: "Die reale Glasschneiders-Konzession", die schon Vater Wenzl erworben hatte und die sich ebenfalls Wertsteigernd auswirkte. Von Adam Hackl ging der Besitz an Sohn Xaver über. Doch übernahm er nicht das "gezimmerte Wohnhaus", sondern ein gemauertes Haus, wie es bis zum Abbruch ein markanter Blickpunkt am oberen Markt war. Denn bei dem verheerenden Marktbrand im Jahr 1825 war das Holzhaus ein Raub der Flammen geworden. Damals gab es bereits seit 1799 die staatliche Brandversicherung, die für Holzhäuser aber so abschreckend hoch war, dass jeder gerne deshalb und wegen der besseren Feuersicherheit Steine als Baumaterial verwendete. 1877 steht in einer Gewerbe-Aufstellung Xaver Hackl als "Glasschneider" und als "Gemischtwarenhändler", ein Zusatzverdienst, den er nach 1859 eingerichtet haben muss. 1878 steht im Gebäudeverzeichnis von Zwiesel Witwe Theresia Hackl als Krämerin.
Georg Pongratz, der jetzige Besitzer, weiß zu berichten, dass sein Ur-Großvater Georg Pongratz das Anwesen 1880 erwarb. Pongratz kam aus Buchenau, war dort Glasmacher und Gastwirt. In den ersten Jahren in Zwiesel hat er auch eine Glaserei betrieben, hat er Festerglas geschnitten. Zusammengefasst war das Haus, heute Daimingerstraße 4, von Gerichtsprokurator und Marktschreiber Pruckmayer 1698 erbaut, während der drei Jahrhunderte seines Bestehens im Besitz von einer Generation Schink, drei Generationen Hackl und vier Generationen Pongratz. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil VI
Anton Schink, 1757 geboren, heiratete um 1790 Therese Tauscheck, Tochter des Glasschneiders Andrä Tauscheck, der in Zwiesel am Anger lebte. Die Tauscheck waren eine weit verzweigte Familie von Glasmachern, Glasschneidern und Glashändlern vom österreichischen Mühlviertel bis Waldmünchen in der Oberpfalz, vom grenznahen Böhmen bis nach München.
Vermutlich lebte das Ehepaar Schink zunächst bei den Tauschecks am Anger. Zwischen 1792 und 1807 kamen acht Kinder zur Welt, von denen nur drei groß wurden. Im Jahr 1800 zogen die Schink an den Galgenhügel, in ein Haus, das Anton von den Ertl'schen Kindern für 985 Gulden gekauft hatte. Im Häuser- und Rustikal-Steuer-Kataster wird das Haus beschrieben als "Haus Nr. 82, ein halb gemauertes Wohnhaus nebst gemauertem Stall und hölzernem Stadl, ein Gras- und Wurzgärtlein", dazu Forstrecht und Gemeindeteile. Im Lauf der Jahre kaufte Anton mehrere landwirtschaftliche Grundstücke dazu. Anton Schink besaß auch die personale Glasschneide-Gerechtigkeit. Das heißt, die Gewerbe-Erteilung war an seine Person gebunden. Doch durch den Erwerb von Haus- und Grundbesitz schaffte er die Grundlage für eine reale Konzession, wie sein Schwager Wenzl Hackl sie besaß. Den lebensnahen Unterschied von personal zu real hat Bürgermeister Mehringer, der erste Cafetier im Markt (Apotheke) im Jahr 1831 zu Papier gebracht. Die personal Konzessionierten mussten allein von ihrem täglichen Arbeitsverdienst sich und ihre Familie ernähren. Die real Konzessionierten waren ansässige Realitäten-Besitzer und konnten als so genannte Ackerbürger, als Nebenerwerbs-Landwirte nach heutigem Sprachgebrauch, die Ernährung ihrer Familien größtenteils absichern. Als Anton Schink im Jahr 1816 mit 59 Jahren starb, wurde in die Sterbematrikel auch eingetragen: "Hauptmann des Bayerischen Militärs". Das Bayerische Hauptstaatsarchiv-Kriegsarchiv teilte auf Anfrage mit, dass ein Offiziers-Personalakt nicht vorhanden ist. Es erscheine wahrscheinlich, dass Schink Offizier der Landwehr älterer Ordnung war, des Bürgermilitärs. Wer denkt da nicht gleich an die "Schlacht am Landwehrbergl" im Jahr 1809. Paul Friedl berichtet darüber ausführlich in seinem "Heimatbuch der Waldstadt Zwiesel" vom Jahr 1954. Anton Schink, "Hauptmann des Bayerischen Militärs", wird im Bericht über die legendäre "Schlacht am Landwehrbergl" des Jahres 1809 nicht namentlich erwähnt, nur der böhmische Hauptmann von Bellen, der am 19. Juni 1809 an die 200 Mann befehligte, als diese sich über Rabenstein und Lindberg dem Markt Zwiesel näherten, um gute Beute zu machen. Es gab Verwundete und Tote, die auch in der Sterbematrikel vermerkt sind. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil VII
Zur "Schlacht am Landwehrbergl" steht in der Sterbematrikel für das Jahr 1809 auf Seite 29 unten: "Den 19. Juny um einhalb drei Uhr früh blieben bey einem vorgefallenen Gefechte am Riederbergl auf dem Weg nach Klautzenbach zwei Soldaten der böhmischen Landwehr tot auf dem Felde, einer hatte eine Schußwunde durch die Brust, dieser soll verheiratet, von Schüttenhofen seyn und vier Kinder haben, der zweite hatte eine Schußwunde durch den Kopf. Ein dritter tödlich verwundet durch einen Schuß am Unterleib starb um 10 Uhr Vormittag in Zwiesel Nr. 15 (heute Bäckerei Greß/Bachmeier). Alle drei wurden auf Anbefehlung des Commandanten eines Sächsisch-Weimarischen Hauptmanns am nämlichen Tag um 7 Uhr abends auf dem Gemeindegrund nebst dem Hüterhause in einer Grube begraben. Ihre Namen, ihre Heimat und Alter ist bis jetzt nicht bekannt.
Den 26. Juny Vormittag starb Nr. 15 noch ein am 19. Juny tödlich verwundeter Soldat der böhmischen Landwehr an einer im Kopf erhaltenen Schußwunde namens Joseph Wideck, Bauerssohn, vier Stunden hinter Klattau, 19 Jahre alt, und wurde abends neben den Vorigen ohne Wissen des Pfarrers und ohne Zeremonie begraben." Das Hüterhaus stand damals im heutigen Stadtpark, etwa beim Waldstier-Hüter-Brunnen von Siegfried Schriml. Das ergab die zufällige Einsicht in einen Lageplan kürzlich im Staatsarchiv Landshut. Der Stadtpark war damals noch Flusslandschaft mit Mäandern und mehreren Wasserläufen, Überschwemmungsgebiet eben, wie ja auch heute noch immer. Paul Friedl berichtet von 200 Böhmen, in der Pfarr-Matrikel nennt der Pfarrer die Zahl 600. Irrtum ausgeschlossen. Denen standen, laut Eintragung, eine Kompanie Bayern mit 100 Mann und eine Kompanie Sachsen-Weimarische mit 130 Mann gegenüber. Und diese wurden sicher verstärkt durch die Zwieseler Bürger-Landwehr, die möglicherweise von Hauptmann Anton Schink geführt wurde. Bei seinem Tod 1816 lag dieses Ereignis erst sieben Jahre zurück, war noch allen in Erinnerung. Zwiesel hatte damals 124 Wohnhäuser und 1810 zählte man erstmals tausend Einwohner.
Anton Schinks Witwe Therese starb 1828 zwei Tage vor Heilig Abend. Am 3. Januar 1829 gingen die drei Geschwister Theresia, Anton und Joseph zum Gericht und verteilten das Erbe unter sich. Dieses Protokoll ist beim Brand auf Burg Trausnitz verloren gegangen. Festgestellt werden konnte aber, dass Anton das Haus und etliche Wiesengrundstücke bekam im Wert von 2283 Gulden. Bruder Joseph, ebenfalls Glasschneider, erwarb später eigenen Hausbesitz. Auch seine Linie hat sich bis heute fortgesetzt. Anton heiratete 1830 Josepha Strobl, Tochter des Krämers Baptist Strobl am Marktplatz (Apotheke). Sie brachte 600 Gulden in die Ehe und er verschrieb ihr seinen Besitz zum Miteigentum. Es kamen zehn Kinder zur Welt und wieder starb der Vater viel zu früh mit 55 Jahren. Sein Ältester, Maximilian, war gerade 19 Jahre alt. Maximilian, der erste von bis heute vier Generationen Max Schink, heiratete die Müllerstochter Theres Leimer, bekam 1863 das Haus am Galgenberg. Bruder Anton heiratete Agnes Schiedermaier und zog nach Regenhütte. Die Brüder waren nicht nur Glasschneider, sondern auch Zinngießer. Dann musste 1888 das Haus am Galgenberg für den Bahnbau nach Grafenau aufgegeben werden. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil VIII
Endlich sind wir in unserer Serie im Bürgerhaus am Anger angelangt. Als die Recherchen begannen, war nicht abzusehen, dass der Weg der Schink von Oberzwieselau über den oberen Markt und den Galgenhügel führte und dank glücklicher Umstände, wie sie in 40 Jahren Geschichtsforschung nicht vorkamen, fast lückenlos nachvollziehbar wurde.
Maximilian Schink konnte für das Haus am Galgenhügel, das 1888 dem Bahnbau nach Grafenau weichen musste, das Haus am Anger Nr. 95 erwerben, heute Angerstraße 23. Auch für dieses Haus konnten die Besitzer bis gegen das Jahr 1700 gefunden werden. In der Herdstätten-Anlage des Jahres 1717 wurde als Besitzer des "eingädigen" Hauses der Zimmermann Joseph Prunner eingetragen. Im Jahr 1747 starb der nunmehrige Hausbesitzer, der Schneidermeister Johann Prunner. Das Haus erbte Sohn Anton, angehender Schneidermeister und 24 Jahre alt. Er hatte vier Brüder und eine Schwester. Bruder Joseph, ebenfalls Schneider, lebte in Kirchdorf im Wald. Der jüngste Bruder Bernhard war erst 15 Jahre und Anton musste sich verpflichten, diesen kostenlos zum Schneider auszubilden. Bargeld war wenig vorhanden, nur drei Gulden für jedes Kind. Auch die Landwirtschaft war bescheiden. Es gab nur eine Kuh und die Wiese in der Lenau. Eine zweite Kuh gehörte der Schwester Magdalena.
Anton heiratete die neun Jahre ältere Maria Anna, Tochter des Weißbier-Bräumeisters Johann Mayer, der am Markt wohnte, in dem Haus, das einmal das "Cafe Prinzess" war, heute Prenissl. Drei Jahre zuvor hatten die beiden für reichlich Gerede im Markt gesorgt. Maria Anna hatte einen kleinen illegitimen Anton zur Welt gebracht, der nur wenige Wochen lebte. Immerhin hatte Anton Prunner sich zur Vaterschaft bekannt und durch die Heirat 1747 wurde der Fehltritt vom Jahr 1744 aus der Welt geschafft. Bräumeister Mayer war ein großzügiger Brautvater. Seine Tochter brachte einen "Kammertwagen" in die Ehe und eine Wiese als zusätzliche "Gräserei". Dem Ehepaar wurde wieder ein Sohn, ein Johann Georg, geboren am 11. Mai 1748. Das Glück schien vollkommen. Doch dann starb am 14. Juli 1748 Schneidermeister Anton, 24 Jahre jung und am 6. August folgte im das Söhnchen. Es ist immer wieder erschreckend, wie der Tod allgegenwärtig war in den Familien in früheren Jahrhunderten. "Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben", das war damals Alltag. Nun musste ein Schneidermeister gesucht werden, der die Schneiders-Gerechtsame auf dem Haus übernahm, die Witwe heiratete und damit den Ernährer ersetzte. Am 4. Juni 1749 wurde der Heiratsbrief eingetragen für Maria Anna geb. Mayer, verwitwete Prunner und Stephan Reindl aus Parsberg in der Oberpfalz. Schneidermeister Reindl hatte auch die Ausbildung von Antons jüngstem Bruder Bernhard zu übernehmen. Da aber gab es sogleich "Zoff", wie die jungen Leute heute sagen würden. Erst hatten Antons Geschwister Joseph, Magdalena, Benedikt und Franz zwei Wochen nach der Hochzeit ihr väterliches Erbe von je drei Gulden verlangt. Ein halbes Jahr später, im Januar 1750, forderte auch Bernhard sein Erbe, weil er seinen neuen Lehrherrn nicht anerkannt hatte und dies auch zukünftig nicht tun wollte. Vielleicht ging er ja zu seinem älteren Bruder in die Schneiderwerkstatt nach Kirchdorf im Wald. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil IX
Schneidermeister Stephan Reindl und Frau Maria Anna bekamen mehrere Kinder. Nur Anna Katharina, geboren 1758, wurde groß. Sie ging später nach Vilshofen, starb dort unverheiratet und spätere Hausbesitzer mussten für 40 Gulden hl. Messen für sie lesen lassen.
Und wieder wurde Maria Anna, geb. Mayer, Witwe. 1761 starb Stephan Reindl. Dieses Mal war schon nach einem halben Jahr ein Ernährer, ein dritter Ehemann, gefunden. Johann Reidl war zwölf Jahre jünger als sie und wird als "bürgerlicher Sohn derorten" bezeichnet. Die Namensähnlichkeit mit dem zweiten Ehemann muss man als zufällig gegeben hinnehmen, zumal ein Michael Reidl, Bauer zu Langdorf, als einer der zwei Zeugen den Heiratsbrief unterschreibt. In diesem Heiratsbrief wird auch das väterliche Erbe der dreijährigen Anna Katharina umständlich gesichert. Dem Ehepaar wird noch eine Tochter geboren, Maria Klara. Da ist die Mutter bereits 46 Jahre. Diese Tochter heiratet mit 18 Jahren den Schneidermeister Lorenz Stiglbauer. Er war doppelt so alt wie sie, damals nichts Besonderes, wie wir inzwischen wissen, ein Taglöhnerssohn aus Asbach (Altlandkreis Viechtach) gebürtig. Er brachte 300 Gulden in die Ehe. Zehn Kindern schenkte sie das Leben. Der Erstgeborene, Johann Adam, bekam das Haus und das Gewerbe. Er heiratete 1810 eine Barbara Schreiner, Zimmermeisterstochter aus Zwiesel, bekam drei Kinder mit ihr und starb 1816 nach nur sechs Ehejahren. Witwe Barbara Stiglbauer musste wieder heiraten. Sie brauchte je einen Ernährer und hatte eine Gewerbekonzession auf dem Haus zu bieten. Ihre Wahl fiel auf Schneidermeister Johann Frisch, geboren 1788 in Gsenget am Marchbach in Böhmen. Er war fünf Jahre jünger als sie. Nach nur einem halben Jahr Trauer wurde im November 1816 geheiratet.
Das Ehepaar Frisch bekam fünf Kinder, von denen zwei keine drei Jahre alt wurden. Dann starb Barbara nach 13 Jahren Ehe. Sie hinterließ drei Kinder im Alter von neun, acht und fünf Jahren. Auch Johann Frisch heiratete wieder. Er konnte sich Zeit lassen, weil Stieftochter Barbara aus der ersten Ehe seiner Frau mit Johann Adam Stiglbauer 15 Jahre alt war und die jüngeren Halbgeschwister versorgen konnte. Erst nach gut zwei Jahren, im März 1832 heiratete Johann Frisch seine zweite Ehefrau Anna, geborene Eichinger, aus Lohberg. Wieder kamen fünf Kinder zur Welt. Nicht nur die Kindersterblichkeit war zu jener Zeit groß, ganz allgemein war die Lebenserwartung gering. Es gab nur wenige Ehen ohne einen Stiefvater oder einer Stiefmutter. Barbara Stiglbauer aus der ersten Ehe ihrer Mutter bakam als sie 16 Jahre alt war, auch eine Stiefmutter. Diese Gegebenheiten sind der Hintergrund für die Märchen mit den bösen Stiefmüttern, die etwa zur gleichen Zeit da und dort nieder geschrieben wurden. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil X
Schneidermeister Johann Frisch, der erste Frisch am Anger, war es, der im Hochwald die Fläche an der alten Straß erwarb, die nach ihm den Namen "Frischenschachten" bekam, später der Name einer großflächigen Waldabteilung.
Johann Frisch erlebte den verheerenden Angerbrand im Jahr 1849, am Tag Mariae Himmelfahrt, am 13. August. Von der Einsiedeleistraße bis einschließlich des Bernreiterhauses brannten alle Gebäude auf der Anger-Ostseite, wie Paul Friedl im Heimatbuch 1954 berichtet. Im Kataster des Jahres 1808 wird das Haus beschrieben als "ein ganz von Holz gezimmertes Wohnhaus mit gemauertem Stall und hölzernem Stadl". Im Urkataster 1843 steht über dieses Haus: "Wohnhaus, Stadl und Stall unter einem Dach, Streuschupfe und Hofraum". Zur Behebung des Brandschadens findet man in den Kataster-Unterlagen keine Hinweise. In jedem Fall wurde in Stein wieder aufgebaut, wie derzeit vom Hof des Anwesens Angerstraße 23 an den Feldsteinmauern des Anwesens Weikelstorfer zu sehen ist.
Beide Söhne aus erster Ehe und Felix aus der zweiten Ehe wurden Schneider. Das Haus übernahm 1851 der Älteste, Johann Baptist. Der Übergabe-Vertrag ist wegen der Verpflichtungen für die Geschwister aus den drei Ehen äußerst kompliziert, ja unübersichtlich. Johann Baptist Frisch aus der Ehe mit Witwe Barbara Stiglbauer wurde der erste und einzige Tuchmacher in Zwiesel. Das Lexikon sagt Ende des 19. Jahrhunderts: "Im engsten Sinne ist Tuch der Name eines rein wollenen ... Gewebes, zwischen dessen Fäden durch Walken eine Verfilzung bewirkt" und dessen Oberfläche aufgeraut wird. Weil Frisch seine Tuche überwiegend verkaufen musste, nannte er sich auch "Handelsmann" und kam zu Wohlstand. Man denke nur an das Wort "betucht", für das man im hiesigen Dialekt "geldige Leute" sagt.
Geheiratet hat Johann Baptist Frisch 1851 Katharina Graßl, Tochter eines bereits verstorbenen Glashändlers. Sie wohnte "gleich um die Ecke" in der heutigen Einsiedeleistraße. Die Ehe war mit elf Kindern gesegnet und währte 24 Jahre, nicht ganz bis zur Silberhochzeit. 1875 starb Johann Baptist, zwei Jahre später seine Frau, gerade 48 Jahre alt. Katharina war die letzte von insgesamt sieben Personen, die nachweislich in diesem Haus an Tuberkulose, damals "Lungensucht" genannt, starben. Die Todesursache steht erst seit 1803 in den Matrikelbüchern. Es beginnt mit Nikolaus Stiglbauer 1814 und endet mit Katharina, geb. Graßl, 1877. Als der Vater starb, wurde ein Vatergutsvertrag beim Notar aufgesetzt. Von den elf Kindern, die Witwe Katharina geboren hatte, lebten noch sechs. Der älteste Sohn, Johann Baptist wie der Vater, war damals in Freising. Die jüngste Tochter Klara war sieben Jahre alt. "Die inventarmäßig ermittelte reine Vermögens-Hälfte" - für die Kinder - betrug gerundet 5180 Gulden, für jedes Kind 863 Gulden. Das war viel Geld, das zunächst unverzinslich beim Haus blieb. Als dann zwei Jahre später die bettlägerige Mutter das Haus an Johann Baptist übergab, wurde ein Wert von 30.800 Mark errechnet. Auch ist von "wider Vermuten zum Vorschein kommenden weiteren Schulden" die Rede. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil XI
Johann Baptist Frisch, auch er Tuchmacher, übernahm ein schwieriges Erbe. Der wirtschaftlichen Blütezeit um 1850/1860 war gegen das Jahr 1880 eine Depression gefolgt. Als Johann im Januar 1878 Franziska Ernst, Tochter eines Handelsmannes aus Frauenau, heiratete, war ihre Miteigentumshälfte, 11.150 Mark wert. Sie brachte gut 3.400 Mark in die Ehe ein.
Dennoch gelang dem jungen Ehepaar das wirtschaftliche Überleben nicht. Am 30. Dezember 1882 musste das Anwesen mit allen landwirtschaftlichen Grundstücken versteigert werden. Neuer Besitzer für 13.400 Mark wurde der Kürschner Johann Evangelist Sieber aus Regen. Ein Wirtshaus wurde eingerichtet. Leider wissen wir nicht, bei wem der Pächter, der Wirt Heinrich Lackerbauer, das Bier bezogen hat. Sieber zertrümmerte das Anwesen, verkaufte sieben Grundstücke an Zwieseler Bürger. Anton Schink, Zinngießer in Zwiesel, und seine Ehefrau Theresia, geborene Leimer, erwarben von Sieber nur das Anwesen am Anger für 8.500 Mark. Schink besaß aber Grundstücke "Auf der Eben" und "Am Galgenhübel" und erwarb später weitere Flächen dazu. Kürschner Sieber verpflichtete sich, dass der Gasthauspächter bis zum 1. Juni 1889 das Haus geräumt habe, also in sieben Wochen. Im Jahr 1895 starb Frau Theres und 1903 übergab der Witwer Haus und Gewerbe an seinen Ältesten, auch Max. Dieser hatte sechs Geschwister. Bruder Hermann war Schlosser in Plattling, Bruder Wilhelm Uhrmacher in Augsburg und Johann auch Zinngießer in Zwiesel. Schwester Theres war mit Maschinenmeister Renner in Veitshöchheim verheiratet, Maria mit Katasterzeichner Zierer in Zwiesel und Rosa noch minderjährig. Vater Max nahm sich als Austragswohnung "das Eckzimmer über einer Stiege, welches an das Brauer'sche Anwesen (heute Prenissl) anstoßet zur Straße hin" aus. Die noch ledigen Geschwister bekamen das Wohnrecht im "Gesellenzimmer im ersten Stock oberhalb der Küche auf den Hof hinaus", nach dem Tod des Vaters in dessen Wohnraum. Von Johann, der ledig blieb, wurde dies bis zu seinem Tod wahrgenommen. Max II Schink ließ am Tag der Übername auch einen Ehevertrag mit seiner Verlobten Barbara Schaffer, einer Brauereibesitzers-Tochter aus Ruhmannsfelden, aufsetzen. Das Ehepaar hatte zwei Kinder und Max II Schink, geboren 1865, gestorben 1943, war sehr erfolgreich. Er war "ein hochgeschätzter Handwerksmeister" als Zinngießer. Während seiner Wanderjahre hatte er "Deutschland von den Alpen bis zur Wasserkante" durchstreift. "1886 war er Mitbegründer des Turnvereins, ebenso 1889 der Sanitätskolonne". Er war viele Jahre zweiter Bürgermeister der Stadt Zwiesel, wie einem langen Beitrag zu seinem 70. Geburtstag im November 1935 der "Bayerischen Waldzeitung" zu entnehmen ist, und auch Gewerberat. Am 12. April 1914 druckte die "Bayerische Waldzeitung" unter Zwiesel nachstehenden Hinweis: "Im Schaufenster der Eisenhandlung Primbs und Sohn dahier ist eine schöne Gravierarbeit unseres einheimischen Künstlers, Herrn Zinngießermeister Max Schink junior, unter dessen Händen schon viele hübsche gravierte Zinngegenstände entstanden sind, ausgestellt. Es ist dies das Zifferblatt einer Schwarzwälderuhr mit Zeiger, Perpentikel und Gewichten, alles sehr schön graviert. Das Zifferblatt zeigt oben einen der aufgehenden Sonne entgegenkrähenden Hahn, während unten das geflügelte Stundenglas das Tagesende anzeigt. Wir machen auf fleißige Arbeit ganz besonders aufmerksam." Eine Schwarzwälderuhr wie oben beschrieben befindet sich noch im Besitz der Familie. © Ingeborg Seyfert |
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Die Geschichte eines Bürgerhauses am Anger und seiner Bewohner - Teil XII
Max II Schink war der erfolgreichste aller Kunsthandwerker Schink. Sein Großvater Anton II hatte 1846 als Glasschneider zusätzlich die Zinngießerei gegründet. Sein Vater Max I hatte sich 1882 an der "Bayerischen Landes-Industrie-Gewerbe- und Kunst-Ausstellung in Nürnberg" beteiligt. Leider wissen wir nicht, welche Objekte er einschickte. Max II Schink verwendete beides zu Werbezwecken.
Aber nicht nur Erfolge konnte Max Schink aufweisen. Es gab große existentielle Schwierigkeiten, die nicht er zu verantworten hatte. Im Sommer 1917 musste er als Kriegstribut alle Metalle, alles Zinn abliefern. Einem Zeitungsaufruf ist zu entnehmen, dass auch alle Privatpersonen und Wirte die zinnernen Deckel von den Gläsern ohne jede Entschädigung beim Bezirksamt in Regen abliefern mussten.
Die Not im Hause Schink war groß. Man war der Existenz beraubt, hinzu kamen die Kriegsentbehrungen, die große Hungersnot. Max III, geboren 1904, wurde als Halbwüchsiger dadurch so geprägt, dass er auf keinen Fall den Beruf des Vaters ergreifen wollte. Er wurde Elektromeister und war lange Jahre Leiter des E-Werkes in Zwiesel. Sein Bruder Anton, geboren 1906, hatte den Mut zum Kunsthandwerk, wurde Fachlehrer an der Akademie für angewandte Kunst in München. Die Familie besitzt noch eine Mappe mit Entwürfen von ihm, überwiegend Formen- und Ornamentszeichnungen für Glaswaren. Sein Leben ging im Krieg, in einem Feldlazarett an der Ostfront, 1942 zu Ende. Max IV Schink, geboren 1935, wurde Elektromeister wie der Vater, war lange Jahre im Bauamt der Stadt München tätig und kümmert sich nun um sein Haus. Max IV Schink ist heute der achte Schink nach dem Stammvater aller Schink im Zwieseler Winkel, nach dem Aschenbrenner Andrä Schink, geboren 1665, gestorben 1733. Andrä, der vor rund 300 Jahren lebte, stand in hohem Ansehen, hat für den Glashüttenherrn zahlreiche amtliche Urkunden als Zeuge unterschrieben. Dieser Andrä hat die Meinung der Verfasserin über den Beruf des Aschenbrenners grundlegend geändert. Sie hat gelernt, dass es ein für den Hüttenbetrieb sehr wichtiger Beruf war, mit dem man, wie Andrä bewies, finanziell sehr erfolgreich sein konnte. Auf Andrä folgte Christoph, auf diesen Enkel und Urenkel Anton. Die darauf folgenden vier Max Schink waren und sind Besitzer "eines Bürgerhauses am Anger und seine Bewohner". © Ingeborg Seyfert |
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